Der Traum vom Leben in Gemeinschaft wird immer größer, viele Menschen sehnen sich zurück in die Zeit der alten Stammeskulturen. Gemeinsam arbeiten, kochen, die Kinder großziehen, singen, tanzen und leben erscheint wie eine Fata Morgana in der öden Wüstenlandschaft der Vereinsamung und Isolation des Individuums der heutigen westlichen Gesellschaft. Doch ähnlich wie bei einer langfristigen Beziehung wird Mensch auch in Gemeinschaft mit der Zeit das romantische Bild der unbefangenen verbundenen Verschmelzung loslassen, die anfängliche Verliebtheitsphase hinter sich lassen und sich den Herausforderungen des Gemeinschaftslebens stellen müssen.
Denn ein Hauptgrund, warum es auf der Welt nicht noch viel mehr Gemeinschaften und vor allem viel mehr langjährig bestehende Gemeinschaften gibt, sind Konflikte. Konflikte zwischen einzelnen Gemeinschaftsmitgliedern, Konflikte zwischen verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Gemeinschaft oder sogar der Konflikt zwischen der Gemeinschaft und ihrem sie umgebendem Umfeld außerhalb der Gemeinschaft.
Auch wir haben in unseren nun gut drei Jahren Gemeinschaftserfahrung bereits viele Konflikte miteinander erlebt, gelöst, tiefer verstanden und sind teilweise auch nur haarscharf an einer Trennung vorbeigeschlittert oder konnten die Spaltung zwischen einzelnen Menschen oder von der Gruppe als Ganzes nicht immer rechtzeitig abwenden. Dabei haben wir sehr viel über die menschliche Psyche, Gruppendynamiken und hilfreiche Herangehensweisen an Konflikte gelernt.
Da die meisten Konflikte sowohl eine Sachebene haben, welche konkrete Lösungen braucht, als auch eine emotionale tiefere Ebene, in der es um verdrängte innere Anteile geht, die miteinander kämpfen, kombinieren wir inzwischen bewährte Methoden der Mediation mit unseren Erfahrungen zur Innenarbeit. Heute möchte ich euch gerne mitnehmen in unsere Konflikte-Lösungs-Schatzkiste, die wir über die Jahre immer mehr erweitert haben. Wir schauen uns dabei an, was eine gute Herangehensweise an Konflikte ist und zuletzt wie es weitergehen kann, wenn Konflikte nicht gelöst werden können:
Was gibt es bei der Konflikt-Lösung zu beachten?
- Klare Rollenverteilung
Zuerst einmal sollte es bei der Konflikt-Mediation* eine klare Rollenverteilung geben: es gibt die beiden sich streitenden Parteien, sie werden mediiert. Es gibt möglicherweise Mitbeteiligte, sie können aktiv oder passiv am Gespräch teilnehmen, sollten aber möglichst keine Rolle als Mediator einnehmen, da es für sie schwer sein wird, eine neutrale Haltung zu bewahren. Ihre Beiträge können allerdings helfen, ein umfassenderes Bild auf die Gesamtsituation zu erhalten. Es gibt mindestens einen oder mehrere Mediatoren, diese sollten bereits Erfahrung im Vermitteln und mit Gruppendynamiken haben, eine neutrale Haltung zu den vertretenen Positionen einnehmen können und über genug innere Kraft und Selbstbewusstsein verfügen, um auch in hitzigeren Diskussionen die Ruhe und die Leitung des Gespräches behalten zu können. Die Mediatorin leitet dann das Gespräch ein, steckt den Rahmen und die Vorgehensweise ab und greift bei destruktivem Verhalten einer Partei ein.
Wir bieten auch Mediation an, in der – wenn gewünscht – gleichzeitig auch auf die tieferliegenden Themen bei den Beteiligten geschaut wird. Unser Angebot findest du hier. - Vereinbarte Kommunikationsregeln
Es ist gut, wenn zu Anfang Regeln für eine konstruktive Streitkultur vereinbart werden, da kann das Wissen um die Gewaltfreie Kommunikation helfen. Einander nicht ins Wort fallen, die Meinung des anderen erstmal als dessen Wahrheit stehen lassen oder sogar schon das tiefere Bedürfnis darin heraushören und in Ich-Botschaften sprechen. In unserer Erfahrung ergänzen wir das noch dadurch, dass alle Ebenen der Kommunikation gewaltfrei sein sollten: die mentale, emotionale, körperliche und spirituelle und Kritikpunkte am anderen möglichst immer auf konstruktive Art und Weise formuliert werden, das heißt darin enthalten Vorschläge gemacht werden, wie etwas besser geht. So dass dem anderen die Möglichkeit gegeben wird, auf der Kritik etwas Neues aufzubauen, anstatt nur das Alte zu demaskieren. - Einander zuhören
Wenn die Regeln akzeptiert wurden, starten wir meist damit, dass beide Parteien nacheinander von ihrer Wahrnehmung auf die aktuelle Situation und ihren Wünschen für eine Lösung sprechen. Beide Parteien hören einander zu und unterbrechen sich nicht dabei. Der Mediator erinnert an das Verwenden von Ich-Botschaften und das Unterlassen von Schuldzuweisung, wenn vonnöten. - Die tiefere Ebene
Daraufhin versucht der Mediator über geschickte Fragen oder gutes Zuhören und Lesen des Menschen (seiner Intonation, seines Körperausdruckes und seiner Mimik) die tiefere Ebene des Konfliktes zu verstehen: welche Themen liegen unter der Sachebene, um die sich gestritten wird? Gibt es innere Teilpersönlichkeiten, die sich verletzt fühlen oder im Hintergrund agieren? Je nachdem, was für Teile das sind, können unterschiedliche Vorgehensweisen helfen, diese bewusst zu machen. Wenn in dem Streit innere Kinder verletzt wurden, die nun von mächtigen Teilpersönlichkeiten beschützt werden, die dafür auch einen Streit in Kauf nehmen, dann lohnt es sich diese inneren Kinder direkt abzuholen. Zum Beispiel indem ihnen durch eine passende Stimmlage und energetisch-emotionale Zuwendung ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gegeben wird und sie sich trauen zu sprechen. Oder indem der Mediator, die Themen selbst benennt, die er als Grund der Verletzung vermutet: kann es sein, dass du dich übergangen/benutzt/nicht gesehen/kontrolliert/ angegriffen fühlst? Wenn der Streit nicht auf der Ohnmacht eines inneren Kindes beruht, sondern auf dem Machtkalkül eines im Hintergrund agierenden auf die eigenen Vorteile ausgerichteten Anteiles, dann lohnt es sich, diesen Anteil entweder direkt zu benennen und zu konfrontieren oder ihn geschickt durch passende Fragen zu entlarven. Hilfreich dabei ist, selbst eine offene Haltung diesem Anteil gegenüber zu haben, seinen Wunsch nach Machtausübung wertzuschätzen und möglichst selbst als Mediator in eine machtvolle Energie zu gehen, sodass sich der Anteil willkommen und unter Gleichgesinnten/auf Augenhöhe fühlt. - Das größere Bild
Wenn die inneren Themen, die mitschwingen, genügend beleuchtet wurden, versucht der Mediator sich der größeren unpersönlicheren Ebene des Streites zuzuwenden: Gibt es kollektive Themen, die beteiligt sind? Handelt es sich zum Beispiel, um einen Inter-Generationenkonflikt, also die Ablösung einer Generation durch die nächste, oder tiefliegende Verletzungen zwischen Mann und Frau, die generationenübergreifend weitergegeben wurden? Sind die beiden Parteien möglicherweise nur Vertreter von grundlegend unterschiedlichen Polen (wie Festhalten versus Loslassen, Anspannung versus Entspannung, Inklusion versus Exklusion, …) und sollten in ihrer Unterschiedlichkeit geehrt werden? Zu hören, dass es um grundlegende menschliche Fragen und philosophische Strömungen geht und schon viele Menschen an der Lösung dieser Konflikte gearbeitet haben, kann für die streitenden Parteien eine sehr beruhigende, erleichternde Wirkung haben, da sie sich als Teil eines größeren Ganzen fühlen können und nicht mehr die Last dieser Bürde nur alleine auf ihren Schultern tragen müssen. - Sprechen wir dieselbe Sprache?
Es ist hilfreich, wenn der Mediator das Klärungsgespräch nutzt, um beide Parteien gut zu beobachten und in ihrer Kommunikation miteinander zu analysieren. Dabei sollte er darauf achten, ob beide Seiten die gleiche Sprache sprechen. Beispielsweise könnte es sein, dass beide Seiten beteuern, sie wünschten sich mehr Ehrlichkeit im Umgang miteinander und seien enttäuscht von der Unehrlichkeit der anderen Seite. Das kann einen erst einmal verwirren: wenn sich beide dasselbe wünschen, was ist dann das Problem? Allerdings kann die Realität so aussehen, dass sich der eine Ehrlichkeit auf der emotionalen energetischen Ebene wünscht, der andere auf der mental organisatorischen Ebene. Einer möchte, dass ehrlich über die Gefühle im jetzigen Moment gesprochen und damit ein Umgang gefunden wird, der andere, dass der Mensch ehrlich seine Schwächen im Bezug auf manche Arbeitsfähigkeiten anerkennt und daraus lernt. Beide haben das Gefühl, der andere würde sich darum drücken, etwas ehrlich auszusprechen, dabei sind sie einfach auf unterschiedlichen Ebenen. Der Mediator sollte solche und ähnliche Beobachtungen, die er zur Kommunikation der beiden Parteien macht, zum richtigen Zeitpunkt transparent machen und den beiden Verständnis für sich und den anderen beibringen. - Was will noch gesagt werden?
Zuletzt sollte der Mediator Raum geben, um bisher allgemein Unausgesprochenes im gehaltenen Rahmen anzusprechen: hier können noch einmal unbewusste Erwartungen aneinander ausgesprochen werden und es kann geschaut werden, welche Rolle beide Parteien füreinander und im Kontext der Gruppe einnehmen und ob sie darin zufrieden sind oder es eine Änderung braucht. Bedürfnisse und Wünsche aneinander können ausgesprochen werden, hier geht es erstmal nur um das Hören dieser Wünsche, die konkrete Umsetzung folgt im zweiten Schritt. An dieser Stelle sollte auch die Gruppe mit einbezogen werden: nun kann die Gruppe beide Parteien spiegeln in ihren Licht- und Schattenseiten. Wichtig: auch für die Gruppe gelten die konstruktiven Kommunikationsregeln. Hier ist es als Mediator sehr wichtig, dass dieser sensible Raum nicht ausgenutzt wird, um einer der beiden Parteien im sicheren Rahmen etwas „heimzuzahlen“, eine Wahrheit, die man sich sonst nicht trauen würde auszusprechen, sehr heftig und vorwurfsvoll zu formulieren. Generell ist es gut vor dem Einladen von Spiegeln, daran zu erinnern, dass aus offenem Herzen und innerer Klarheit heraus gespiegelt und immer die schwierige Lage des Gespiegelten mit einbezogen werden sollte und zu mehr Milde verhilft. - Wie geht es nach der Mediation weiter?
Wenn die Mediation gut verläuft, erfahren beide Parteien darin mehr Verständnis und Mitgefühl füreinander und können sich danach wieder vertragen und ihren Streit beiseitelegen. Ein schöner Abschluss des Streites kann darin bestehen, sich gegenseitig für die entstandenen Verletzungen zu vergeben und gemeinsam zu überlegen, wie einer zukünftigen Streiteskalation vorgebeugt werden kann. Beide Parteien können ihren Anteil an dem Streit benennen und herausfinden, was ihnen in Zukunft dabei helfen kann, besonnener und weniger aus dem Affekt heraus auf äußere für sie herausfordernde Umstände zu reagieren.
Es kann allerdings auch sein, dass eine Mediation zwar gut verläuft, jedoch darin klar wird, dass beide Parteien sich langfristig trennen sollten (räumlich, emotional, auf einer Arbeitsebene, …), da die Werte/Weltansichten/Ausrichtungen zu unterschiedlich und nicht miteinander kompatibel sind. In diesem Fall hilft folgende weitere Vorgehensweise:
- Weitere Kollaboration
Wenn es sinnvoll ist, zum Beispiel auf einer Arbeitsebene erstmal weiter zu kollaborieren, bis die notwendigen Ressourcen für eine Trennung vorhanden sind, sollten klare Vereinbarungen für die weitere Kooperation getroffen werden. Was wünschen sich beide Parteien für eine funktionierende Kollaboration, welche Regeln braucht es dafür? Was wäre eine Verletzung dieser Abmachungen? Wie wäre dann das weitere Vorgehen? - Wer übernimmt welche Rolle?
Sinnvoll ist auch eine Klärung der weiteren Rolle der jeweiligen Partei in der Gruppe. Es sollte klar abgesprochen werden, welche Partei in welchen Räumen leitende Funktionen und in welchen Räumen folgende/raumhaltende Funktionen einnimmt. Gruppenmitglieder können sich überlegen, welcher Partei sie sich in Zukunft zuwenden und zugehörig fühlen möchten. Eine gute Regel ist, dass keine heimliche Diffamierung oder offener Angriff der Gegenseite, gezielte Manipulation oder Druck auf andere Gruppenmitglieder, sich der eigenen Partei anzuschließen, erfolgen sollten. Der weitere Umgang miteinander sollte konstruktiv, kooperativ, kommunikativ und transparent ablaufen. Respekt vor der Andersartigkeit der anderen Partei ist hilfreich. - Der Streit geht weiter…
Sollte es wieder zu gegenseitigen Vorwürfen kommen, sollten möglichst schnell neutrale Unbeteiligte als Streitschlichter hinzugezogen werden und wenn nötig, auch eine schnellere respektvolle Trennung vorschlagen.
Wenn dann der Zeitpunkt für die tatsächliche Trennung gekommen ist, zeigt es Größe, wenn beide Parteien sich noch einmal gegenseitig wertschätzen und ihre Dankbarkeit für den gemeinsam gegangenen Weg bekunden, sich im Guten verabschieden und gemeinsam die Trauer über die vollzogene Trennung fühlen und verarbeiten. Manchmal kann eine klare, einvernehmliche, respektvolle Trennung mehr Energie freisetzen, die sonst in Kompromissfindung gebunden wäre. Der Mediator ist nicht dafür da, eine Trennung zu verhindern oder sie zu begünstigen, sondern mehr Verständnis, Kommunikation und Mitgefühl zwischen den Konfliktparteien zu erzeugen und aus dem Verlauf der Mediation abzuleiten, welches die sinnvollen nächsten Schritte sind und diese dann vorzuschlagen.
Konflikte werden in jeder Gemeinschaft wie in jeder Partnerschaft immer Teil des Lebens und des Alltags sein, wichtig ist, inwieweit sie als Entwicklungsmotoren begrüßt und angenommen werden und inwieweit bewusste und immer wiederkehrende Reflektion, gelebte Werte und gegenseitiges voneinander Lernen dabei helfen, mit ihnen gut umzugehen. Ein Hoch auf eine positive Streitkultur!
*Ich spreche immer wieder in diesem Artikel von „Mediation“ und möchte dazu anmerken, dass wir in der Gemeinschaft keine klassische Mediation betreiben oder uns an die klassischen Vorgehensweisen der Mediation halten. Wenn ich den Begriff benutze, dann nur um damit einen passenden Begriff für das Vermitteln von Konflikten an der Hand zu haben.
Hier unser Angebot für Mediation: https://innenarbeitskollektiv.de/mediation/