In meinem heutigen Blogbeitrag möchte ich euch von meiner ganz persönlichen Reise und den Erkenntnissen erzählen, die ich auf meiner Suche nach einer Gemeinschaft gesammelt habe und wie die Integrale Theorie mir geholfen hat, meine Erlebnisse zu verstehen.
Vor zwei Jahren fühlte ich mich unwohl und beengt bei dem Gedanken, wie mein Leben laut gesellschaftlichem Entwurf nach dem Studienabschluss weitergehen sollte. Ich sehnte mich nach einer tieferen Verbundenheit und Lebendigkeit, wie ich sie sporadisch bei Festivals, Gruppenreisen und Seminaren schon erlebt hatte. Diese Sehnsucht trieb mich an, verschiedene Gemeinschaften in Deutschland zu erkunden. Ich war beeindruckt, was Menschen bereits für neue Strukturen und Lebensformen jenseits des Mainstream geschaffen haben und leben. Herzerwärmende Begegnungen gaben mir ein Gefühl, endlich unter Gleichgesinnten angekommen zu sein. Doch neben diesen magischen Momenten tiefer Verbundenheit zeigten sich ganz neue Herausforderungen und Überforderungen in den Gemeinschaften: widersprüchliche Vorstellungen, nicht-enden-wollende Plena und ich nahm viel (teils unterdrückte) Wut und Frust wahr. Es gab immer wiederkehrende Konflikte und eine diffuse Spannung und Spaltung unter der Oberfläche. In mir entstand das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht weitergeht und festhängt.
Als ich dann eine Veranstaltung der New Earth Tribes besuchte, war ich total überrascht. Die Atmosphäre hier war erfrischend anders: eine Mischung aus jugendlicher Dynamik und zielgerichtetem Handeln. In den Plena-Treffen herrschte eine Effizienz und Klarheit, die ich so nicht kannte. Konflikte wurden nicht nur angesprochen, sondern auch tiefer angeschaut und gelöst. Ich erinnere mich an eine Diskussion über unser Ernährungskonzept, die in anderen Gemeinschaften zu Spaltungen führte und hier – trotz unterschiedlicher Vorstellungen und Vorlieben – recht flüssig zu einem gemeinschaftlichen und klaren Commitment fand. Genau da, wo anderen Gemeinschaften ihre Probleme hatten, lief es hier erstaunlich flüssig weiter. Ich spürte, wie sich aus dem diffuse Sackgassen-Gefühl meines bisherigen Suchens ein neuer Pfad auftat.
Kurze Zeit später fand ich mit Spiral Dynamics und anderen integralen Ansätzen eine mögliche Erklärung für meine diffusen Gefühle. Es hat mich verstehen lassen, dass wir Menschen nicht nur individuell sondern auch kollektiv „erwachsen“ werden. Wie bei der Entwicklung von Kindern lassen sich scheinbar auch allgemeingültige Entwicklungsphasen für Gruppen und ganze Gesellschaften ablesen. Ob Trotzphase oder Pubertät, Rittertum oder Industrialisierung – jede Phase beherbergt ein eigenes Geschenk. Jeder Entwicklungsschritt kann ein Problem aus der vorherigen Stufe lösen und steht wiederum vor neuen Herausforderung und Fallstricken. Ich begriff, dass das Leben ein fortwährender evolutionärer Prozess ist, der manchmal durch innere und äußere Widerstände ins Stocken geraten kann.
Diese Modelle halfen mir zu erkennen, an welchem Punkt ich mich und auch mein Umfeld sich befindet und was nötig ist, um jeweils den nächsten Schritt machen zu können. Aus der Perspektive von Spiral Dynamics haben viele Gemeinschaften, die ich erlebt habe, den Übergang von dem sog. „orangenen“ zum „grünen Mem“ vollbracht. Während Menschen im orangenen Mem den Fokus auf lineares Wachstum, mentale Intelligenz und Fortschritt legen, lehnen Menschen im grünen Mem dieses Leistungsdenken ab und setzen sich für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit ein. Bürgerrechte, Umweltschutz und das Vermeiden von Ausgrenzung treten auf die Agenda. Das Auseinandersetzen mit Gefühlen, Fürsorge füreinander und das Hier und Jetzt stehen im Fokus. Oft geht der Gleichheitssinn der grünen Stufe jedoch auf Kosten von Klarheit und Effizienz. Da Leistungsdenken und die Zukunftsorientiertheit abgelehnt werden, fällt es Menschen im grünen Mem schwer, selbst in ihre Wirksamkeit zu kommen und sich auszurichten.
„Da keine Ansicht von Natur aus besser ist als eine andere, werden keine konkreten Ziele und Aktionen verfolgt, außer dass alle Ansichten mitgeteilt werden.“
Integrales Forum: Spiral Dynamics
Während die orangene Stufe zwar produktiv ist, aber dabei das Umfeld nicht hinreichend beachtet, ist die grüne Stufe bedacht auf ein harmonisches Umfeld, kommt aber schwer in eine Schaffenskraft. Der Schritt in die nächste („gelbe“) schließt die Perspektiven beider Stufen ein und löst deren Konflikte. Relativismus wird ergänzt zu Holismus, Pluralismus zu Integralismus, Egalitarismus zu natürlicher Entwicklungshierarchie. An Stelle von Macht, Status (orange) treten Wissen und Kompetenz in den Mittelpunkt und ergänzen die Gruppensensitivität (grün). Das gelbe Mem schätzt Vielfalt und ermöglicht gleichzeitig effiziente Entscheidungsfindung, Klarheit und Offenheit.
In der Phönix Gemeinschaft, wo ich jetzt lebe und wirke, lassen wir uns immer wieder von der integralen Stufe (dem „gelben Mem“) inspirieren und leiten. Sie hat uns gelehrt, Konflikte nicht nur zu erkennen, sondern sie als Gelegenheiten für Wachstum und Entwicklung zu nutzen. Ich sehe dies in unserer Art, Unstimmigkeiten zu adressieren und konstruktiv zu lösen, in der Art, wie wir unsere diversen Qualitäten fördern und in der Weise, wie wir unsere gemeinsamen Ziele verfolgen.
Zugleich gibt es hier Dinge, die ich aus der grünen Stufe vermisse und es gilt weiterhin, evtl. übersprungene oder nicht voll-ausgereifte Entwicklungen der vorherigen Stufen zu integrieren.
Wenn ich mal wieder merke, dass bei uns auch nicht alles perfekt ist, erinnere ich mich daran, dass wir alle auf dem Weg des Reifens und Entwickelns sind. Eine wesentliche Qualität von uns ist es, sich diesem Prozess ganz hinzugeben und immer wieder zu schauen, wo der natürliche Entwicklungsfluss ins Stocken gerät und was es da gerade für den nächsten Schritt braucht.
Unsere Reise ist ein fortlaufender Prozess und die Integrale Theorie ist ein wesentlicher Kompass für uns. Sie hilft uns, unsere Entwicklung zu verstehen und zu gestalten, und ermöglicht es uns, in einer Weise zu leben, die nicht nur ganzheitlich, sondern auch tief mit unserem inneren Kern verbunden ist. Ich bin gespannt, wohin uns dieser Weg noch führen wird und freue mich darauf, diese Erfahrungen weiter mit euch zu teilen.
P.S. natürlich sind auch die Integrale Theorie und Spiral Dynamics nur Modelle und sie bieten nur eine Perspektive auf mein Erleben, neben vielen anderen.
Wenn du diese Brille und Landkarte tiefer gehend erkunden magst, kann ich dir noch die folgenden Quellen empfehlen:
Website: https://www.integralesforum.org/medien/integrale-bibliothek/theorie-grundlagen/2809-spiral-dynamics
Vortrag von Sebastian von Sauter: https://www.youtube.com/watch?v=Rxb9Ql_QLbE
Buch: „Gott 9.0 – Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird“ von Marion Küstenmacher, Tilmann Haberer und Werner Tiki Küstenmacher