Das Team für die Ankündigung und Bewerbung unserer Veranstaltungen sitzt in kleiner Runde zusammen. Eine kleine Wolke von Frust, Angst und Sorge schwebt über uns. Wir stecken in unsere Veranstaltungen unglaublich viel Herzblut und Lebensenergie und sind immer bemüht, für unsere Gäste da zu sein. Viele Menschen sind von unseren Räumen sehr berührt und bewegt. Dennoch ist in den sozialen Medien auch immer wieder Misstrauen, Unverständnis und manchmal sogar Hass zu spüren.
Die Gründe dafür sind vielschichtig und reichen von persönlichen Vorlieben und Abneigungen über berechtigte und unberechtigte Kritik bis hin zu Projektionen, wobei dies nur einige der Gründe sind.
In diesem Artikel gehe ich näher auf das Thema Projektionen ein, da jeder im Leben mit Projektionen konfrontiert wird.
Projektionen sind ein großes Thema in der heutigen Welt; sie sorgen für viele Irritationen, Durcheinander und fehlgeleitetes Handeln. Es wird sowohl auf Staaten, Konzerne und bekannte Persönlichkeiten als auch auf Menschen im direkten Umfeld projiziert. Wie du deine eigenen Projektionen erkennen und damit umgehen kannst, wenn andere auf dich projizieren, erfährst du in diesem Artikel anhand der Erfahrungen, die wir als Gemeinschaft gemacht haben.
Ich persönlich habe bereits vor meiner Zeit in der Phönix-Gemeinschaft in anderen Gemeinschaften Projektionen erlebt. Ich habe häufig erlebt, dass aus ihnen Leid entsteht, dass in ihnen aber auch eine Chance liegt. Aus diesem Grund beschäftige ich mich seit einigen Jahren mit dem Thema
Projektionen sind im klassischen psychologischen Verständnis psychische Abwehrmechanismen, bei denen Menschen ihre eigenen unerwünschten oder bedrohlichen Gefühle, Gedanken oder Motive unbewusst auf andere Menschen übertragen und sie dort statt in sich selbst wahrnehmen. Carl Jung und Sigmund Freud haben mit ihrer Forschung zum Schatten und zum Unbewussten den Grundstein in der Psychologie gelegt, um den Mechanismus der Projektion zu entdecken.
Projektionen innerhalb von Gemeinschaften
Auf individueller psychischer Ebene passiert es ständig, dass wir Dinge aus unserem Unbewussten, Schatten und Trauma auf unsere nächsten Mitmenschen projizieren. Intern in unserer Gemeinschaft tritt das auch häufig auf. Das können kleine Dinge sein, wie wenn ich meinen inneren Antreiber auf die Projektleitung projiziere und ihr vorwerfe, sie würde mir Druck machen, dabei sind es mein eigener innerer Perfektionist, Antreiber oder mein eigenes Minderwertigkeitsgefühl, die mir Druck machen. Wenn ich das aber nicht fühlen möchte, projiziere ich meinen inneren Druck nach außen und arbeite die Gefühle an meinem Umfeld ab.
Es können aber auch noch tiefere Dinge sein, wie Vater-, Mutter- und Familienthemen. Das sind sehr tiefe Strukturen, die, wenn sie unbewusst bleiben, schwer wiegen. Ich kann beispielsweise in der Gemeinschaft die Familie suchen, die ich nie hatte. Auf der Jagd nach zum Beispiel Zugehörigkeit kann jeder Konflikt in der Gruppe als bedrohlich wahrgenommen werden, da das innere Kind Angst hat, die gleichen Erfahrungen wie in der Kindheit erneut zu machen. Es ist gut, seinen eigenen Sehnsüchten nachzugehen, auch wenn sie aus einer Projektion stammen; man sollte die Verstrickungen und Traumata allerdings zum gegebenen Zeitpunkt erkennen und aufarbeiten, damit es konstruktiv weitergehen kann.
Eine sehr schwierige Dynamik in Gemeinschaften entsteht auch, wenn einzelne Mitglieder ihre ungelösten Lebensthemen (wie z.B. Vereinnahmungs- oder Verlassenheitswunde oder andere Themen, die aus einer unausgelichenen Psychodynamik entstehen) auf die Gemeinschaft projizieren, indem sie ihr unbewusst die Schuld für ihre Probleme geben. Dann entstehen Konflikte und schwierige Emotionen unter den Gemeinschaftsmitgliedern. Die Streitthemen haben dann häufig keinen konkreten Inhalt, oder es wird über Stellvertreterthemen diskutiert, die nicht das wirkliche Problem sind. Für die Gemeinschaft ist es herausfordernd, mit diesen Projektionen umzugehen, da häufig in diesen Situationen keine Vertrauensebene mehr besteht. Unter den Projektionen leidet das Vertrauen, und es steht auf einmal in Frage, ob die anderen einem guttun oder ob sie gar Schuld am eigenen Leid sind. Auch wenn das häufig nicht so deutlich gesagt wird, ist das die tieferliegende Dynamik.
Die große Herausforderung in diesen Momenten ist es, in einem guten Miteinander zu bleiben, herauszuarbeiten, was Projektion und was sachliche Differenzen sind. Wie das gelingen kann, erläutere ich später.
Mutter- und Vaterthemen äußern sich meist, wenn Rollen eingenommen werden. Es passiert dann häufig, dass Menschen, die vorher eine normale oder sogar gute Beziehung miteinander hatten, in Streit oder andere Schwierigkeiten miteinander geraten. Ohne dass man es merkt, steht der andere unbewusst für Mama oder Papa. Ich habe schon häufig erlebt, dass diese Projektionen zu einem offenen oder subtilen Kampf führen, da die Themen, die in der Vergangenheit mit Mutter oder Vater nicht gelöst werden konnten, nun unbewusst verhandelt werden, was nur zu Problemen führen kann.
Projektionen und Kritik von außerhalb
Wir als Gemeinschaft erleben auch, dass Menschen von außen auf uns projizieren. Häufigste Auslöser für Projektionen sind unsere Bezogenheit, die emotionale Offenheit oder Sinnliche Räume. So habe ich schon erlebt, dass auf Studentenpartys über unsere wöchentlichen Sharing-Runden berichtet wurde und Menschen schon von der Vorstellung, in einer Gruppe über das eigene emotionale Befinden zu sprechen, irritiert und verschreckt waren. Was in diesen Fall der genaue Grund für die abwertende Reaktion war, kann ich nicht sagen.
Neben den Projektionen, die aus individuellen Themen entstehen, können auch kulturelle Prägungen zu Projektionen führen, was ich mir in dem geschilderten Fall gut vorstellen kann. Wir alle sind mit einer kulturellen Prägung durch Familie, Bezugsgruppen und Gesellschaft aufgewachsen. Wenn dort Gefühle unterdrückt wurden und ein tieferer Austausch über das eigene Befinden nie stattgefunden hat, dann kann es komisch und fremd anmuten, Menschen zu sehen, die genau das tun.
Die individuelle Bewusstseinsebene, auf der man sich befindet, hat auch einen Einfluss. So lehnt man unbewusst die anderen Bewusstseinsebenen häufig ab.
Es ist auch nicht neu, dass alles, was nicht innerhalb der Normen oder des Bekannten der Gesellschaft liegt, kritisch und ablehnend betrachtet wird. Dies hat auch eine gute Seite: Ungesunde und schlechte Verhaltensweisen, die z.B. menschenfeindlich sind, sollten auch abgelehnt und zu einem gewissen Grade verurteilt werden. Das ist nötig, damit in der Gesellschaft förderliche und gute Normen und Werte vertreten werden. Ob die aktuellen Normen und Werte förderlich sind, ist allerdings eine andere Frage, die den Rahmen dieses Blogartikels sprengen würde. Deshalb verweise¹ ich nur auf die Bücher von Hans Joachim Maaz zur Normopathie.
Wie aber nun umgehen mit den Projektionen?
Projektionen sind Verzerrungen der Realität; wir übertragen etwas, das von uns ist, auf jemand anderen, zu dem das nicht gehört. Wenn das nicht aufgearbeitet wird, führt das zu Leid. Projektionen sind aber auch etwas Alltägliches und Normales, das uns allen passiert. Deshalb ist es wichtig, sich regelmäßig, in Konflikten und wenn wir intensive (negative oder positive) Gefühle zu einem Menschen haben, die nicht ganz zur aktuellen Beziehung passen, zu fragen: Wie klar ist mein Blick auf die Situation und auf den anderen? Gibt es einen unbewussten Anteil, den ich nicht sehe und der meinen Blick verzerrt? Du kannst andere Menschen, bei denen du das Gefühl hast, sie könnten etwas sehen, was du noch nicht siehst, nach ihrer Perspektive und Wahrnehmung fragen. Wenn du eine Projektion bei dir merkst, kann ein Schattenprozess dir helfen, die Projektion aufzulösen. Ich empfehle den „3-2-1-Schattenprozess“ nach Ken Wilber. Mehr dazu findest du im Anhang.²
Umgang mit Projektionen in der Öffentlichkeit
Nun zu der schwierigeren Frage, wie damit umgehen, wenn du das Gefühl hast, Menschen projizieren auf dich.
Wenn auf dich oder die Organisation, in der du aktiv bist, projiziert wird, weil du oder ihr öffentlich für etwas Ungewöhnliches oder Neues steht, mache dir bewusst, dass das leider „normal“ ist, wenn man etwas tut, was sich andere nicht trauen oder was nicht in ihr Weltbild passt. Du solltest dich natürlich weiterhin mit der Kritik, die von außen kommt, auseinandersetzen und dich dahingehend reflektieren, ob du auf einem guten Weg bist. Mache dir aber auch bewusst, dass es für viele Menschen aktuell leider normal ist, eigene ungelöste Themen ungefiltert bei anderen Menschen abzuladen. Es kann interessant sein, den tieferen Kern, der in den Reaktionen auf dich liegt, herauszukristallisieren, denn auch wenn es eine Projektion ist, liegt darin eine Information, die etwas über dich aussagt. Es ist aber auch wahrscheinlich, dass du weiterhin zu ganz anderen Interpretationen als der Absender kommst, da du die Dinge in einem anderen Sinnzusammenhang siehst. Diese Unterschiede zu verstehen, kann aber wertvoll für dich sein. Wichtig ist auch zu sehen, dass man kritisches Feedback nicht pauschal als Projektion abtun sollte, um sich nicht damit zu konfrontieren. Auf der anderen Seite kann man sich auch nicht jedes Feedback so zu Herzen nehmen, dass man sich jedes Mal vollständig infrage stellt. An der Stelle ist es wichtig ein gesundes Mittelmaß zu finden.
Wir versuchen inzwischen gelassen zu reagieren, wenn Menschen aus einer Projektionen heraus heftig und negativ auf uns reagieren. Es herrscht ein raues Klima in den öffentlichen Debatten und in den sozialen Medien. Wir lernen aktuell, was ein guter Umgang mit Projektionen sein kann. Es ist wichtig, Reaktionen und Rückmeldungen wahrzunehmen. Wenn jedoch klar wird, dass die Rückmeldung mehr über den Absender aussagt als über uns, da dieser seine eigenen verdrängten Themen auf uns projiziert, sollten wir diese beim Absender belassen und uns entsprechend davon abgrenzen. Da wir sehr offenherzig und selbstkritisch sind, fällt uns das gar nicht so leicht.
Umgang mit Projektionen von nahe stehenden Menschen
Wenn Projektionen von Menschen aus deinem Umfeld kommen, mit denen du in Beziehungen bist, kann das nochmal deutlich unangenehmer sein. Es kann zu Misstrauen, Spannungen und anderen Dingen kommen, die nicht wirklich etwas mit der Beziehung zwischen euch als Menschen zu tun haben. Mein erster Rat: Versuche wieder Vertrauen und Verbindung zu schaffen, wenn das gelitten hat. Das kann helfen, die Projektion zu entspannen und eine Grundlage zu schaffen, um die Projektionen zu thematisieren. Wenn das Ansprechen gut läuft, erkennt der andere die Projektion und kann sie von dir herunternehmen. Wenn es schlecht läuft und dein Gegenüber die Projektion nicht erkennt, kann es zu Unverständnis oder Diskussionen kommen. Versuche dann nicht, dich zu rechtfertigen oder den anderen anzugreifen, selbst wenn er das tut.
An der Stelle musst du abwägen, wie offen dein Gegenüber ist, sich eigene innere Themen anzuschauen. Wenn du keine Offenheit spürst, solltest du darüber nachdenken, wie du damit umgehen willst, wenn sich beim anderen nichts ändert. Wenn du eine Offenheit bei deinem Gegenüber spürst, ihr es aber nicht zu zweit schafft das Thema aufzulösen, könntet ihr euch kompetente Unterstützung holen. Wichtig ist, dass der Mensch, der euch unterstützt, ein gewisses psychologisches Grundverständnis und Gespür für Sozialdynamiken hat. Wir bieten auch Mediation an, in der – wenn gewünscht – gleichzeitig auch auf die tieferliegenden Themen bei den Beteiligten geschaut wird. Unser Angebot findest du hier.
Wir haben nun einige interessante Aspekte rund um das Thema Projektionen beleuchtet. Ich hoffe, dieser Beitrag hat dir erste Einblicke gewährt. Dennoch ist das erst der Einstieg, vieles konnten wir nur oberflächlich behandeln. Manchen Fragen sind wir in dem Artikel nicht nachgegangen, etwa wann Projektionen ein gesunder Schutz zur Selbsterhaltung sind, oder was zu tun ist, wenn nicht klar ist, wer projiziert, und man in einem Spiegelkabinett landet. Dazu vielleicht an anderer Stelle mehr.
Am Ende bleibt zu sagen, dass das kein einfaches, aber dafür ein sehr wichtiges Thema ist. Die Schwere rührt daher, dass die Projektionen aus unbewussten Themen, die mit Leid verbunden sind, entstehen und häufig Leid in Form von Trennung und Verletzung erzeugen. Umso wichtiger ist es, dass wir lernen, bewusster und liebevoller mit Projektionen umzugehen. Wenn wir das schaffen, können wir etwas zu einer helleren, lebendigeren und liebevolleren Welt beitragen.
Quellen, Empfehlungen & Anmerkungen:
1 Bücher von Hans Joachim Maaz zur Normopathie:
– Das falsche Leben: Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft
– Der Gefühlsstau: Psychogramm einer Gesellschaft
2 Der 3-2-1-Schattenprozess nach Ken Wilber:
– PDF zum Das Wesen und die Kraft der 3-2-1-Methode https://bvppt.org/media/samuelwiehtuechter.pdf
– Buch: Integrale Lebenspraxis von Ken Wilber
– Unser Angebot für Mediation: https://innenarbeitskollektiv.de/mediation/
– Unser Video in dem wir über Projektionen in Gemeinschaft sprechen: https://www.youtube.com/watch?v=wzdS7-rignk&t=162s